Neuer Bericht: Nachtzüge können 3 % der gesamten EU-Treibhausgasemissionen einsparen
Meinungsumfragen zufolge wären 7 von 10 Europäern bereit, den Nachtzug statt des Flugzeugs zu nehmen, wenn ihnen das Angebot vernünftig erscheint. Back-on-Track, ein europäisches Netzwerk von Nachtzuginitiativen, hat auf dieser Grundlage die Fluggastzahlen in der EU im Jahr 2019 daraufhin untersucht, welche Flugverbindungen durch Nachtzugverbindungen ersetzt werden könnten. Dabei wurden sowohl Entfernungen bis zu 1500 km als auch Entfernungen bis zu 3000 km mit verschiedenen Szenarien betrachtet. Insgesamt könnten bis zu 32 % der Passagiere auf Nachtzüge umsteigen, wenn es ein attraktives Angebot gäbe. Dies würde die Emissionen des Flugverkehrs um 26 % reduzieren. Um ein solches Angebot zu schaffen, wären bis zu 2500 Nachtzüge mehr erforderlich sowie eine erhebliche Verbesserung der Rahmenbedingungen, insbesondere eine Senkung der Trassenpreise.
Wozu dieser Bericht?
Das Potenzial von Nachtzügen wurde in einer Reihe neuerer Studien untersucht, aber keine dieser Studien beantwortete die Frage, wie viel Treibhausgasemissionen durch die Verlagerung des Personenverkehrs vom Flugzeug auf die Schiene in einem Best-Case-Szenario, in dem alle Hindernisse beseitigt sind, vermieden werden könnten. In den Studien wurde entweder das Potenzial eines vordefinierten Netzes untersucht, oder die Untersuchung der potenziellen Fahrgastzahlen basierte auf den gegebenen Hindernissen.
Und wenn Klimaeffekte berechnet wurden, wurde der Nicht-CO2-Strahlungsantrieb des Luftverkehrs entweder ignoriert oder es wurden vorsichtigere Annahmen zugrunde gelegt. Insbesondere die Erkenntnisse über die Wirkung des Wasserdampfes haben sich erst in den letzten Jahren konsolidiert.
Wie wurden die Flugverkehrs-Emissionen berechnet?
Wir wollten unsere Berechnung auf die neuesten Erkenntnisse stützen und mussten dazu zunächst die zuverlässigste Datenbasis, die EEA-Emissionsdaten, um den besten verfügbaren Berechnungswert für den darin nicht enthaltenen Schichtungseffekt von Kondensstreifen ergänzen, was einen erheblichen Unterschied macht. Da sich die Wirkung von Wasserdampf schnell abschwächt, macht es einen großen Unterschied, ob man die aktuelle globale Erwärmung (mit GWP*) oder die Wirkung über einen Zeitraum von 100 Jahren (mit GWP100) berechnen will. Wir haben uns für Ersteres entschieden. Weniger, weil eine Einsparung von 1,7 % weniger spannend klingt als 3 % – selbst 1,7 % wären ein beeindruckender Wert. Sondern weil es um die Frage geht, wie die derzeitige Erderwärmung bekämpft werden kann, und nicht um die Vorhersage des Klimas im Jahr 2122, und hier liefert GWP* die besseren Antworten.
Wenn man den Strahlungsantrieb von Kondensstreifen und anderen Nicht-CO2-Treibhausgasen auf der Grundlage des GWP* hinzurechnet, verdreifacht sich der CO2-Wert auf einen Anteil von fast 12 % an den gesamten Treibhausgasemissionen der EU (nicht der CO2e-Wert, der andere Treibhausgase, nicht aber Wasserdampf enthält).
Selbst der Anteil der CO2e-Emissionen des Luftverkehrs von mehr als 5% an den Gesamtemissionen (zur Information in Abbildung 1 eingefügt) mag überraschen, da die Luftfahrtindustrie immer wieder auf zwei Zahlen verweist – entweder auf den Anteil der CO2-Emissionen des Inlandsluftverkehrs (enthält nicht die Flüge zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten), der einen Anteil von etwa 1 % an den nationalen Emissionen ausmacht, oder auf den Anteil des Luftverkehrs an den weltweiten CO2-Emissionen, der zwischen 2 und 3 % liegt.
Ein ernstes Problem
Die Emissionen des internationalen Luftverkehrs sind (ebenso wie die der internationalen Schifffahrt) von den national festgelegten Beiträgen (NDC) ausgenommen worden, so dass sie nicht Teil verbindlicher Vereinbarungen sind. Aus diesem Grund sind sie in Statistiken in der Regel nicht in den Emissionen des Verkehrs-Sektors enthalten. Das ist irreführend, da auch Flüge zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten per Definition zum internationalen Luftverkehr zählen. Etwa 80 % aller Emissionen aus dem Luftverkehr erscheinen also nicht in der Verkehrsstatistik – Wir haben dies in Abbildung 2 korrigiert.
So wird noch deutlicher, warum die Emissionen aus dem Luftverkehr zu einem ernsten Problem geworden sind. Anders als im Straßenverkehr sind nicht-fossile Energieträger nicht einmal in Sichtweite. Und im Gegensatz zum Straßenverkehr, wo die Emissionen eine Zeit lang zurückgingen und dann stagnierten, sind die Emissionen des Luftverkehrs stetig gestiegen. Die Emissionen des Luftverkehrs sind der Hauptgrund dafür, dass der Verkehr der einzige Sektor ist, in dem die Emissionen in den letzten 30 Jahren nicht zurückgegangen sind, sondern um fast 40 % gestiegen – natürlich nur, wenn man den internationalen Luftverkehr nicht außer Acht lässt.
Schlimmer noch: Sie werden noch weiter steigen. Die Prognosen zur weiteren Entwicklung des Luftverkehrs, diese hängen hauptsächlich von den Annahmen über mögliche Effizienzsteigerungen ab. Die meistzitierte Prognose ist die „mit bestehenden Maßnahmen“ (WEM), in der sind künftige Fortschritte bei der Antreibseffizienz enthalten, aber Technologien ausgeschlossen, die noch nicht entwickelt wurden. Wir haben die Entwicklung der Luftverkehrsemissionen gemäß der WEM-Prognose verlängert, um zu zeigen: Wenn wir nicht handeln, werden die Emissionen des Luftverkehrs bis 2040 der größte Einzelverursacher des Klimawandels sein, noch vor den Sektorn Energieversorgung und Industrie.
Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, hat das Europäische Parlament kürzlich darüber diskutiert, den Anteil der so genannten nachhaltigen Flugkraftstoffe – kohlenstoffbasierte Kraftstoffe, die aus Biomasse gewonnen werden – langsam zu erhöhen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn diese Kraftstoffe sind kohlenstoffneutral, effektiver, aber auch viel teurer. Allerdings können sie das Problem des Wasserdampfes nicht lösen, so dass ein erheblicher Erderwärmungseffekt bestehen bleibt.
Andere Lösungen sind Batterien, die die Flugzeuge zu schwer machen, um längere Strecken zurückzulegen, Solarzellen, die riesige Flügelspannweiten erfordern, die die Flugzeuge verlangsamen, oder Wasserstoff, die bisher vernünftigste Lösung, allerdings nur, wenn der Wasserdampf aus den Brennstoffzellen vorkondensiert ausgestoßen wird. All diese anderen Lösungen sind jedoch noch weit von der Marktreife entfernt.
Warum Nachtzüge eine naheliegende Lösung sind
Nachtzüge spielen in dieser Diskussion leider noch keine Rolle.
Obwohl ein Allgemeinplatz ist, dass Züge für die Umwelt und insbesondere für das Klima besser sind als Flugzeuge, werden in der Debatte ganz unterschiedliche Dimensionen dieser Beziehung genannt. Wie die TRAN-Vorsitzende des Europäischen Parlaments, Karima Delli, auf der diesjährigen Back-on-Track-Konferenz sagte, „sagen manche, dass die Emissionen sechsmal höher sind, manche sagen sogar zehn“. Die österreichischen Eisenbahnen sagen übrigens 50 mal. Während all diese Relationen für irgendetwas gültig sein mögen, müssen wir definieren, was wir hier wissen wollen: Die gültige Relation für den EU-Energiemix, für Nachtzüge mit hoher Auslastung, für Well-to-Wheel-Emissionen (also inklusive der Emissionen für Treibstoff herstellung und Transport) für das Bezugsjahr 2019, für einen Pro-km-Wert und inklusive Strahlungsantrieb von Nicht-CO2-Treibhausgasen. Das richtige Verhältnis ist dann 1:28. Das bedeutet, dass ein durchschnittlicher Nachtzug in der EU im Jahr 2019 auf der gleichen Strecke 3,6 % der Emissionen des Luftverkehrs verursacht. Wir haben diese Relation in der Abbildung 3 sichtbar gemacht und mit anderen Verkehrsträgern verglichen.
Nachtzüge sind die einzige und offensichtliche Lösung, um das Flugzeug auf Strecken von mehr als 500 km im Landverkehr zu ersetzen – also in einem Bereich, wo Hochgeschwindigkeitszüge zumindest in Bezug auf die Reisezeit nicht mehr konkurrieren können (in Frankreich ab 700 km).
Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, werden Nachtzüge ab 500 km zu einer attraktiven Alternative zu Flugreisen, wenn Hochgeschwindigkeitszüge und -strecken nicht mehr mit den Gesamtfahrzeiten von Flugzeugen konkurrieren können. Bis 1500 km können sie konventionelle Gleise und RIC-kompatibles Standardrollmaterial verwenden. Mit Hochgeschwindigkeits-Nachtzügen, die auf bestehenden Hochgeschwindigkeitsstrecken verkehren, können sogar noch weitere Entfernungen bis zu 3000 km überwunden werden.
Nachtzüge könnten schon in wenigen Jahren die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs einsparen, wenn die Politik jetzt handeln würde. Wir müssen allerdings zugeben, dass die EU-Eisenbahnpolitik nicht das einfachste Feld ist, auf dem man handeln kann. Um messen zu können, ob sich der Aufwand lohnt, sollte man wissen, welches Ergebnis im Gegenzug zu erwarten ist. Deshalb haben wir die erreichbare Treibhausgasreduktion berechnet.
Wir könnten uns in unserem Bericht auf die Studie von Oui au train de nuit (Frankreich) aus dem Jahr 2021 stützen, in der die EU-Fluggastdaten untersucht wurden, um das Fahrgastaufkommen zu ermitteln, das auf Nachtzüge verlagert werden könnte, und prüfen.
Anders als im vorliegenden Bericht schlug unsere Studie aus dem Jahr 2021 vor, Entfernungen zwischen 1500 und 3000 km mit konventionellem Rollmaterial zu bewältigen, das mehr als einen Tag lang fährt – wenn auch nur mit einem Bruchteil des für die Entfernungen unter 1500 km angenommenen Fahrgastaufkommens. Dies ist zwar nach wie vor eine sinnvolle Option, aber Hochgeschwindigkeitsnachtzüge könnten natürlich die Reisezeiten gegenüber dem Flugzeug konkurrenzfähig halten, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ein höherer Anteil der Fluggäste umsteigt. Aus diesem Grund sind Hochgeschwindigkeitszüge das Mittel der Wahl, wenn man von einem Best-Case-Szenario in Bezug auf vermeidbare Emissionen ausgeht.
Was ist im besten Fall der Fall?
Wir gehen von einer leistungsfähigen Schieneninfrastruktur auf TEN-T-Strecken aus, die für mindestens 160 km/h max. Geschwindigkeit ausgelegt und mit ETCS ausgestattet ist, die Fertigstellung von Bauprojekten (wie Fehmarnbelt- oder Brenner-Tunnel, Madrid-Lissabon oder Warschau-Tallinn), die Öffnung von Hochgeschwindigkeitsstrecken für technisch geeignete Nachtzüge, modernes rollendes Material mit erheblichen Verbesserungen in Bezug auf Privatsphäre, Sicherheit und Komfort, eine durchschnittliche Auslastung von 80 % wie bei anderen buchungspflichtigen Verkehrsmitteln, Streckenzugangs- und Bahnhofsgebühren zu Grenzkosten, eine Mehrwertsteuerbefreiung für grenzüberschreitende Fahrten und Plattformen, die den Kauf von Fahrkarten von Anfang bis Ende für alle Fahrtstrecken mit Bestpreisgarantie ermöglichen. Das sind viele Wünsche, wir wissen das. Es ist ein Best-Case-Szenario, aber nichts davon ist unerreichbar.
Wie lautet die Antwort auf die Fragestellung?
Um mehr über unsere Berechnungen zu erfahren, lesen Sie bitte den Bericht, der auch einige häufig gestellte Fragen beantwortet, die wir bei der Diskussion unseres Papiers mit anderen Organisationen, die sich mit Verkehrs- und Umweltfragen beschäftigen, gesammelt haben. Sie können auch unseren Datensatz herunterladen. Die Tabelle enthält alle Annahmen und Methoden, die teilweise geändert werden können, um ihren Einfluss auf das Ergebnis zu überprüfen. Aber wir wollen Sie nicht länger auf die Folter spannen, hier ist die Antwoert auf die Frage, wie viel Treibhausgasemissionen durch die Verlagerung des Personenverkehrs vom Flugzeug auf die Schiene vermieden werden könnten:
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