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Jetzt „on track“: Die neue Generation des ÖBB-Nightjet – wir waren 20 Stunden an Bord

Fast zehn Jahre lang entwickelt und 2018 bestellt, steht der „Nightjet der nächsten Generation“ kurz vor dem Start seiner ersten Verbindung: Von Wien & Innsbruck nach Hamburg ab 10. Dezember 2023. Wir hatten die Gelegenheit, den Zug unter realen Bedingungen zu testen: Auf einer Sonderfahrt von/nach Wien mit Zwischenstopp in fast allen österreichischen Landeshauptstädten, samt Übernachtung zwischen Bregenz und Klagenfurt.

Was ist daran so besonders?

Die „neuesten“ Schlafwagen, die derzeit auf ÖBB-Strecken unterwegs sind, stammen aus den Jahren 2003 bis 2006 („Comfortline“ WLABmz 173.1) – neues Rollmaterial wurde also lange erwartet. Die Pandemie und der russische Angriffskrieg unterbrachen Lieferketten und verursachten einen Verzögerung von fast zwei Jahren. Das machte den laufenden Betrieb für die ÖBB immer schwieriger, denn die Züge sollten längst altes Rollmaterial ersetzen, das dringend überholt werden müsste. Oder sogar verschrottet: Als nächstes wird die (inner-österreichische, subventionierte) Linie zwischen Wien und Bregenz umgestellt, deren Wagen kein Aushängeschild für diese Art des Reisens sind.

Der neue Nightjet ist mehr als nur ein moderner Nachtzug. Das Konzept verwirklicht eine ganze Reihe von neuen Ideen, wie Nachtzüge in Zukunft betrieben werden können. Und darum geht’s im Detail:

1. Der Zug ist eine feste „Push and Pull“-Einheit

Die Idee mit dem Steuerwagen
Dank eines Steuerwagens am Ende wechselt der neue Nightjet schnell & einfach die Fahrtrichtung. Das spart Kosten und Zeit in den vielen Kopfbahnhöfen (München, Zürich, Frankfurt, Mailand, Rom, Venedig). Allerdings fehlt dem Steuerwagen noch eine Betriebsgenehmigung der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA). So musste der Sonderzug beim Wenden in Bregenz von einer zweiten Lokomotive gezogen werden. Drücken wir die Daumen, dass die ERA rechtzeitig grünes Licht gibt.

Flexibilität reduziert auf zwei Möglichkeiten
2 x 7 = 14: In dem die ÖBB zwei feste Garnituren mit je sieben Wagen vereinen, entsteht ein Doppelzug mit der maximalen (Bahnsteig-)Länge von 400 Metern und Platz für bis zu 508 Fahrgäste. Dies dürfte zukünftig auf beliebten Strecken passieren: Back-on-Track Germany erfuhr von den ÖBB, dass man sich auf das bestehende Netz konzentriert und mit den bestellten 33 Einheiten lieber später die Kapazitäten erhöht. Angesicht der guten Buchungslage eine gute Idee, und dankenswerterweise versorgen die ÖBB bereits Länder ohne eigene Nachtzüge (DE/CH/BE) und ergänzen das Angebot in IT/FR/NL/CZ/PL.
Eine Erweiterung steht jedoch noch an: Die durch den neuen NJ frei werdenden Wagen fahren ab 11.12.23 zwischen Berlin-Paris/Brüssel via Mannheim, und damit weiteren Routen, die gar nicht über österreichische Gleise führen (wie auch Zürich-Amsterdam/Zürich-Hamburg).

Die andere Option gibt es ab dem Start der neuen Nightjet-Generation: Zwei Einheiten mit 7 Wagen (also max. 254 Fahrgäste) fahren gemeinsam von Hamburg bis Nürnberg, und dann getrennt nach Innsbruck bzw. Wien. Das spart Trassen- und Stationsgebühren und einen Lokführer mit Nachtschicht. An einem Ende befindet sich ein RIC-kompatibler Übergang, so dass der neue, voll klimatisierte Nightjet weiterhin mit klassischen Wagen gekoppelt werden kann.

Der neue Zug ist auch druckfest und kann auf Hochgeschwindigkeitsstrecken eingesetzt werden, wo er in Tunneln auf einen Hochgeschwindigkeitszug treffen könnte. Druckfeste Übergänge sind teuer, und noch teurer, wenn sie das Kuppeln ermöglichen sollen – daher die feste Einheit.

Kapazität pro Wagen um 29% gesunken

Die Kapazität der neuen Generation entspricht in etwa der einer klassischen Nightjet-Komposition mit zwei Schlafwagen, zwei Liegewagen und einem Sitzwagen. Macht zusammen 5 Wagen, der neue Nightjet bringt es auf 7 Wagen. Klar, die um rund 30% verringerte Kapazität steigert den Komfort, es ist auch Platz für Fahrräder. Zwar steigen die durchschnittlichen CO2-Emissionen pro Fahrgast um 40 %, doch auch mit 20 g/km statt der durchschnittlichen 14 g/km ist der Nachtzug immer noch das nachhaltigste Verkehrsmittel.

2. Die brandneue „Mini-Kabine“

Ja – wir konnten gut schlafen. Die Abwägung ist simpel: Man hat Privatsphäre, aber nur etwa einen Quadratmeter. Dazu ein frisches Laken, eine Decke, das übliche Super-Mini-Kissen. Wo man früher einfach mal das Fenster öffnete, haben druckdichte Züge logischerweise eine Belüftung. Diese spürt man in einer Kapsel mehr als in größeren Abteilen. Im Sommer dürfte der frische Luftzug gefragt sein, und es lassen sich die Düsen der Klimaanlage öffnen, schließen und drehen. Die Temperatur stellt das Personal zentral ein.

Dafür sind Dimmer und Farbe des Lichts wählbar, in der Bedieneinheit informieren kleine Symbole ob die Toiletten frei sind. Der kleine Tisch wird einfach herunterklappt und ist verschiebbar. Und das Gepäck? – Landet im Schließfach (Handgepäckgröße), auch das Fach für die Schuhe funktioniert mit der persönlichen Zugangskarte. Wer „Mini Cabin“ bucht und Maxi-Gepäck dabei hat, kann die Regale im Sitzwagen nutzen („abschließbar“ mit Drahtschlössern). Wenn sich das Handy über Nacht wie durch Magie aufgeladen hat: In der Ablagefläche vor dem Fenster ist ein induktives Ladegerät, alternativ zur 230V- oder USB-Steckdose.

Zwei parallele Kapseln teilen sich eine kleine Schiebetür: Die „Kiss Door“ (ÖBB) öffnet sich nur, wenn beide Seiten entriegelt sind. Diese Konstruktion hat einen sicherheitstechnischen Hintergrund, denn im Falle einer Evakuierung werden die beiden kleinen Fenster zu einem Ausgang, da der mittlere Teil sich ebenfalls löst. Für den oberen Notausstieg fällt zudem eine Strickleiter heraus. Gut zu wissen! (möchte man nicht brauchen, aber etwas neugierig waren wir schon…)

3. Liegewagen/Couchette – klappt auch ohne Klappliegen

Manch Nightjet-Reisende haben die Liegewagen der nächsten Generation vielleicht schon kennengelernt, denn sie ähneln den umgebauten ÖBB-„Liegewagen comfort“. Dort blendet das Bedienfeld noch, erste Lektion gelernt: In den neu gebauten Nightjets leuchtet nachts nur noch ein Symbol.

Alle Abteile haben vier Betten, von denen die unteren mit einem wandmontierten, induktiven Ladegerät ausgestattet sind. Dessen Spezifikationen wurden vor zwei Jahren bestimmt: So wenig, wie wir die Größe von Handys im Jahr 2026 kennen, so sehr muss man nun aufpassen, das Gerät nicht zu zerkratzen. Unsere Meinung: Ein ziemlich teures Gimmick.

Eine tolle Innovation ist der bewegliche Tisch, der nach unten gedrückt werden kann und in Kombination mit einem Sitzkissen als weiterer Sitz dient, der die beiden Betten verbindet. Eine perfekte Lösung für Familien mit kleinen Kindern, die es vorziehen, in einem Winkel von 90° zum Kopf der Eltern zu schlafen. Den Betten/Liegen prophezeien wir eine lange Lebensdauer, denn genau wie beim „Liegewagen comfort“ ist die Polsterung relativ hart.

Wie alle Abteile öffnen sich auch die Couchettes mit Keycards und haben zwei Jalousien (Sichtschutz & Verdunklung). Im Gegensatz zu den Kapseln bieten sie genug Stauraum für Gepäck, auch für größere Koffer unter den Betten.

4. Die Schlafabteile mit eigenem Bad

Auf unserer Reise haben wir Mini Cabins und Liegewagen „im Schlaf“ getestet, aus dem Schlafwagen können wir immerhin unsere visuellen Eindrücke wiedergeben und sagen:

Dieser Nightjet setzt einen neuen Standard.

Alle Schlafwagenabteile haben ein eigenes Bad mit Dusche. In der Top-Kategorie „Comfort Plus“ sogar mit separatem Duschraum, ansonsten passt wohl eher das Wort Nasszelle, wenn (aus Platzgründen) der Fußboden geflutet wird. Manch Fahrgast wird vermutlich lieber daheim duschen und dazu beitragen, dass die Kalkulation aufgeht: Eine Tonne Wasser ist pro Wagen dabei, was knapp werden könnte, wenn zwanzig Personen die Reisezeit zum Duschen nutzen, neben den sonstigen sanitären Geschäften.

Für seltene Gäste im Nachtzug: Die Schlafwagen im „herkömmlichen“ Nightjet haben einheitliche Abteile mit einem Waschbecken, am Wagenende befindet sich WCs und eine Gemeinschaftsdusche, die jedoch her selten funktionierte (Ausnahme: Wien-Zürich, Deluxe-Abteile mit Dusche/WC im Doppelstockwagen). Bislang war es auch möglich, zwei Abteile zu einem zusammenzulegen..

Wie bei den Liegewagen haben die ÖBB das dritte Etagenbett weggelassen, damit die Fahrgäste aufrecht auf dem unteren Bett sitzen können (was wiederum den Umbau vom/zum Tagbetrieb erspart und somit das Personal entlastet). Es handelt sich eigentlich um eine Art „anderthalbfaches“ unteres Bett, da die Sitzfläche in zwei verschiedene Richtungen genutzt werden kann. Das könnte es möglich machen, kleine Kinder mit in den Raum zu nehmen. Mehr Platz bedeutet weniger Kapazität, maximal 20 Fahrgäste (10 x 2 Betten) anstelle von bisher 36 (12 x 3; je nachdem, ob als Single/Double/Triple gebucht). Die Betten sind nun in Fahrtrichtung angebracht. Für unsere Fotos haben wir, passend zum Kissen, die Lichtfarbe Rot gewählt:

5. Sitzt, passt & hat Luft – die Sitzwagen

Wir haben die Tagstrecke im Sitzwagen verbracht und sagen: Gut gemacht, es ist bequemes Reisen mit gutem Wifi, vielen Steckdosen… allerdings keinen Mülleimern. Wie wir erfahren haben, verlassen sich die ÖBB darauf, dass ihre Fahrgäste den Müll in den Eingangsbereich bringen, oder vielleicht sogar das Personal etwas mitnimmt. Das ist gewagt. Abteile von Nachtzügen sind bei der Ankunft, freundlich formuliert, unordentlich. Unsere Prognose: Das Siemens-Verkaufsteam erhält bald eine Bestellung für Tischabfalleimer.

Diese Plätze sind viel besser als die bisherigen 6er-Abteile, eine Liegeposition gibt es allerdings nicht. Die Sitzfläche kann herausgezogen werden und die Lehne um ein paar Grad geneigt werden, insgesamt etwa 8 cm. Nachfrage ist vorhanden: Auf unserer Anreise im Nightjet von Berlin nach Wien (So auf Mo im November) war der gesamte Zug ausgebucht.

Wer nur eine Teilstrecke mitfährt oder es gewohnt ist, in der Economy Class eines Flugzeugs oder im Reisebus zu schlafen: Einsteigen bitte, das passt. Jeder Sitz hat eine kleine Leselampe, das Wagenlicht kann angenehm gedimmt werden. Die Sitze sind relativ flach – falls nebenan frei ist, lässt sich das gut nutzen.

In einem Teil des Wagen sind die Doppelsitze auf dem Boden installiert, mit einer Gepäckablage darüber. In der anderen Hälfte sind 4er-Gruppen um einen Tisch angeordnet, alles um etwa 25 cm erhöht. So bleibt zwischen den Sitzen viel Platz für Gepäck.

6. Hohe Geschwindigkeiten: Auf den Gleisen & im Internet

Den neuen Nightjet kann man als den ersten europäischen Hochgeschwindigkeits-Nachtzug bezeichnen. Die Waggons sind technisch für eine Geschwindigkeit von 250 km/h vorbereitet, was dem Nachtzug Zefiro von Bombardier entspricht, der in China mit bis zu 250 km/h durch die Nacht fährt. Allerdings werden die ÖBB nicht schneller als 230 km/h fahren, da es noch keine Loks gibt, die mehr leisten.

Von größerer Bedeutung dürfte die höhere Geschwindigkeit der Internetverbindung sein. Auf der Strecke von Wien nach Linz ermöglichte der bordeigene Wlan-Service der ÖBB eine Videokonferenz mit 25 Personen, bei der alle ihr Kamerabild bzw. einen gemeinsamem Bildschirm nutzten – völlig unterbrechungsfrei, sogar in Tunneln. Das ist bemerkenswert, weil recht anspruchsvoll, wenn sich schnell bewegende Objekte mit Mobilfunknetzen verbunden sind. Auf abgelegeneren Streckenabschnitten klappte es weniger gut – und wenn der Zug durch Deutschland fährt… aber das ist ein anderes Thema. In jedem Fall sind auch Handyverbindungen verbessert, dank neuer, gelaserter Fenster.

Unser Fazit:

Der neue Nightjet ist ein herausragend in Technik und Design. Ein gewaltiger Schritt in puncto Schlafqualität, Privatsphäre, Arbeitsfähigkeit, Sicherheit und Platz. Mehr Platz geht natürlich mit höheren Fixkosten für das Rollmaterial einher. Im Fall des neuen Nightjets könnte dies durch viele kleine Einsparungen bei den Betriebskosten ausgeglichen werden.

Die Strategie der ÖBB ist kein Preiskampf mit der Luftfahrt, sondern es der Politik zu überlassen, nachhaltige Nachtzüge so erschwinglich wie Flugreisen zu machen. Der Nightjet wird oft teurer bleiben als ein Flug, aber die ÖBB machen die nachhaltige Alternative so attraktiv, dass sich mehr Menschen für den Nachtzug begeistern und dann entspannt am Zielort aufwachen, mitten in der Stadt & den ganzen Tag noch vor sich.

Technische Daten:

  • Max. Geschwindigkeit: 230 km/h, Lokomotive mit Steuerwagen
  • Maximale Kapazität:
    • Sitzwagen: 72 Passagiere
    • Multifunktion: PRM* / Sitze / Fahrräder / Gepäck: 22 Fahrgäste (20 Sitze, 2 PRM*-Liegebetten)
      * mobilitätseingeschränkte Personen
    • Liegewagen / Minikabine: 3 x 40 Passagiere (3×4 Liegebetten, 28 Kapseln)
    • Schlafwagen: 2 x 20 Fahrgäste
    • Kompletter Zug mit 7 Wagen: 254 Passagiere (durchschnittlich 36 pro Wagen)

Bestelldaten:

Hersteller: Siemens Mobility
Bestellte Wagen: 233
Produktionszeit: 5 Jahre
Preis: Im August 2021 kostete die Nachbestellung von 20 Sets á 7 Wagen (auf dann 33 Sets) 400 Mio. EUR,
also durchschnittlich 2,86 Mio. EUR pro Wagen (ohne Transportkosten)

Für Medienanfragen wenden Sie sich gern an die Autoren dieses Beitrags (Juri Maier und Patrick Neumann) unter germany@back-on-track.eu