Auf den ersten Blick erinnert das von dem deutsch-französischen Gründerduo mit der Marke „Nox“ (lateinisch für „Nacht“) am 10.06.2025 präsentierte Nachtzug-Konzept an das 2024 eingestellte Startup Midnight Trains. Eine Karte mit dem künftigen Streckennetz soll Ambitionen andeuten, tatsächlich startet man mit einer einzelnen Linie. Doch schauen wir genauer hin: dieses Konzept bietet in mehrfacher Hinsicht mehr Substanz als das von Midnight Trains.
Nox kommuniziert bereits einen Preis.
Bei Nox scheint man sich sich sicher zu sein, dass man mit einem Startup-Mindset und No-Frills Betriebskonzept wie bei Flixtrain (von wo einer der Gründer kommt) die Kosten des Nachtzugbetriebs deutlich reduzieren kann: Mit Ticketpreisen ab 79 € für eine Einzelbett-Kabine und ab 75 € für ein Bett in einem 2er Abteil will Nox mit den aktuellen Flugpreisen mithalten. Tatsächlich berechneten im Herbst 2024 laut einer Untersuchung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Billigflieger auf Nachtzug-relevanten Distanzen zwischen 500 und 1.500 km im Durchschnitt 79,33 € brutto pro Ticket.
Klar ist allerdings, dass die 75-79 € brutto bei Nox nur der Einstiegspreis sein können. Ein im Schnitt zu 75% ausgelasteter Nachtzug mit maximal 500 Plätzen würde mit diesen Preisen netto pro Fahrt nur rund 27.000 € Umsatz erwirtschaften, zur Kostendeckung dürften da nach unseren Berechnungen mindestens 9.000 € fehlen. Wenn man den potenziellen Investoren darüber hinaus noch einen die Investition rechtfertigenden Gewinn in Aussicht stellen will, muss der Durchschnittspreis auch bei Nox effektiv über 100 € liegen und damit in dem Rahmen der durchschnittlichen Liegewagen-Ticketpreise für Nachtzüge von und nach Deutschland. Laut einer aktuellen Untersuchung von Zeit Online anhand der Daten von night-ride.com liegen diese je nach Strecke im Sommer 2025 zwischen 69 und 158 €.
Nox hat ein plausibles Kabinenlayout.
Midnight Trains zeigte nie mehr als Andeutungen, von denen sich später herausstellte, dass diese für einen Zugtyp angefertigt wurden, von dem sie sich schnell weider verabschiedet haben. Was man dagegen in den Nox-Renderings sieht, kann man sich räumlich gut vorstellen. Vor allem lässt sich das gut in gebrauchte Intercity-Reisezugwagen einbauen, die gerade in ganz Europa reihenweise ausgemustert werden. Die Zwei- und Einpersonen-Kabinen sind rechts und links eines zentralen Mittelgangs angeordnet. Dabei wird auf der einen Seite der Platz unter dem Zugdach und über dem Mittelgang für klassisch quer zur Fahrtrichtung angeordnete Einzel- oder Doppelbetten genutzt. Auf Gang-Höhe befindet sich darunter eine Sitzgelegenheit, in der Doppelkabine mit zwei gegenüber angeordneten Sitzen. Die Einzelkabinen bieten davon vermutlich genau die Hälfte. Auf der anderen Seite befinden sich Kabinen, denen der Luftraum zur Decke dementsprechend fehlt. Hier sind zwei Betten übereinander in Fahrtrichtung angeordnet. Auch hier kann man sitzen, allerdings nur, wenn das obere Bett hochgzogen und das untere Bett zu Sitzen konvertiert wird.
Innenraum-Visualisierungen, (c) noxmobility.com
Wenn laut Aussagen der Gründer alle Betten zwei Meter lang sind und in den Wänden Technik zum Hoch-und Herunterfahen von Betten verbaut ist, bedeutet dies, dass nur Intercity Waggons der 1. Klasse in Frage kommen in denen man nur neun solcher Kabinenkombinationen pro Waggon einbauen kann. Der Bedarf an Einzelkabinen wird eher hoch sein, so dass man vermutlich 7 x 2 Einbett-, 9 Doppelstock- und 2 Doppelbett-Kabinen anbietet. Das wären 36 Plätze pro Wagen, wenn man Großraumwagen umbauen kann. Baut man Abteilwagen um, die für einen Gang an der Seite gebaut wurden, fallen nochmals zwei Plätze weg, um den Gang mit einem Klick in die Mitte führen zu können.
Zum Vergleich: Im Nightjet der neuen Generation bieten die Liegewagen 12 Betten in Vierer-Belegung und 28 Einzelbetten, also 40 Plätze. Die ÖBB kann also in der Liegewagen-Kategorie der neuen Nightjets 10-15% mehr Plätze pro Waggon verkaufen. Dafür kann man allerdings in deren Mini-Cabins nicht richtig sitzen. Die Einbett-Kabine von Nox könnte die Mini-Cabin des nighhtjet im Wettbewerb daher schlagen, die Doppelstock-Kabine erscheint wiederum attraktiver als die 4er-Couchette im neuen Nightjet. Und die Doppelbett-Suite kann für Paare sogar attraktiver sein als ein Schlafwagenabteil, zumindest attraktiver als eines ohne en-suite WC & Dusche, welche man in älterem Wagenmaterial noch findet.
Allerdings: Es ist ja das nicht Ziel, mehr Geld als die ÖBB verlangen zu können, sondern günstigere Preise als beim Flieger anzubieten. Mit noch weniger Plätzen als im Nightjet wird das vom Raumkonzept her aber erstmal nicht möglich sein. Besser sähe es aus, wenn man mit Neufahrzeugen arbeiten könnte. Dann bestünde die Möglichkeit, wie beim Nightjet Türen nur an einem Ende des Waggons anzuordnen, wodurch man wie dieser 38 Plätze anbieten könnte.
Zudem könnte man dann auch mit einem höheren Fahrzeugdach arbeiten. Intercity-Züge bieten effektiv maximal 265 cm Deckenhöhe. Da blieben bei 190 cm für den Gang und 10cm für Decke und Matratze in der Fahrzeugmitte gerade mal 65 cm übrig, was dem Platzangebot in einer 6er Couchette entspricht. Ob das von Passagieren angenommen wird, sollte man also zunächst gründlich testen.
Nox hat einen Fahrplan.
Anders als bei Midnight Trains, die zwar tollkühn Paris mit Edinburgh und Lissabon verbinden wollten, als Knotenpunkt mit Paris eine der am wenigsten dafür geeigneten Städte wählten, dokumentiert das von Nox vorgestellte Liniennetz Realitätssinn (damit allerdings auch wenig Überraschendes). Auf etwa Zweidrittel der vorschlagenden gut 30 Strecken fahren bereits Nachtzüge. Auch die restlichen tatsächlich neuen Strecken sind größtenteils keine Unbekannten und wurden bereits von anderen auf Machbarkeit hin untersucht. Hinsichtlich der Streckenlängen bleibt Nox unter 1.200 km und nah am Fahrzeitoptimum von 12h. Dies empfiehlt sich auch, um beim Personal einen Mehrschichtbetrieb zu vermeiden.
Überraschend ist, dass Nox eigenwirtschaftlich arbeiten will, auf der Hälfte der Strecken allerdings in Konkurrenz mit etablierten Nachtzugbetreibern treten würde, die aktuell staatliche Subventionen erhalten, um wettbewerbsfähige Preise anbieten zu können. Im Fall von Frankreich tragen diese Subventionen im Schnitt ca. 50% der Kosten. Die Ticketpreise liegen in Italien und Frankreich auch deutlich unter denen von Zeit Online für Deutschland ermittelten Spannen. Man mag bezweifeln, dass ein anderer Anbieter genauso viel Zuschuss wie die SNCF benötigen würde. Man darf aber genauso bezweifeln, dass Nox unter Open Access Bedingungen, also ganz ohne Subventionen auch nach Lecce, Luleå oder Reggio di Calabria fahren kann.
Kann das funktionieren?
Mit dem Verzicht auf Catering-Optionen, Self-Check-In und drastischer Reduktion des Servicepersonals, wie in Skandinavien bereits üblich, lassen sich Berechnungen von Rambøll zufolge immerhin bis zu 7% Einsparungen erzielen. Weitere 2%, wenn das Personal z.B. in Ungarn angestellt wird. Mit rund 10% Einsparungen bei den Personalkosten könnte man den Kostennachteil der 10-15% geringeren Platzausbeute schon mal ausgleichen. Was in Skandinavien funkioniert, kann sich allerdings nicht immer auf den Kontinent übertragen lassen. Darüber hinaus ist das Konzept allerdings attraktiver als das meiste, was aktuell fährt.
Weitere Einsparungen wollen die Betreiber laut Berliner Zeitung dadurch erzielen, dass sie auf jegliche Flügelkonzepte verzichten. Damit sind Züge gemeint, die aus mehreren Teilen bestehen die verschiedene Routen bedienen und die in der Nacht umgekoppelt werden. Das Umkoppeln benötigt zusätzliches Personal und ggf. zusätzliche Lokomotiven. Allerdings würden auch die ÖBB auf Flügelkonzepte sicherlich gerne verzichten, wenn denn das Passagierpotenzial einen ganzen Zug füllen würde, bzw. wenn in Paris Abstellfläche für zwei ganze Züge vorhanden wäre.
Größere Einsparungen will Nox ansonsten durch die Standardisierung des Rollmaterials erreichen. Das wird allerdings erst bei einer größeren Bestellung von Neuwagen greifen, die dann über 32 statt nur über 10 Jahre abgeschrieben werden können. Zunächst muss Nox mit umgebauten Gebrauchtwagen beweisen, dass sich das Kabinen-Konzept verkauft. Und bis dahin darf auch niemand anderes geschafft haben, mehr Komfort für mehr als 40 Personen pro Waggon zu realisieren.
Fazit:
Das Nox Kabinen-Konzept ist auf jeden Fall eine interessante Alternative zum Layout des neuen Nightjet, zeigt sie doch, dass sich mehr Privatsphäre auch ohne den Verzicht auf eine Sitzgelegenheit erreichen lässt. Den Trend zu mehr Komfort und weniger Plätzen dreht das Konzept allerdings noch nicht um. Auch ein Nox-Nachtzug wird in voller Länge gerade mal 500 Passagiere befördern, weniger als die Hälfte eines TGV-M. Das macht die Diskussion bei der Priorisierung von Trassen für Nachtzüge nicht leichter. Die Ökonomie des Nachtzugs kann man als Betreiber daher am besten verbessern, in dem man diese zunehmend größer werdende Lücke (wieder) ein wenig schließt. Für den Rest braucht auch Nox in Deutschland vor allem bessere politische Rahmenbedinungen, darunter verlässliche Nachtzug-spezifische Trassengebühren auf Grenzkostenniveau (wie auch von der EU-Kommission empfohlen) und die gleiche steuerliche Behandlung von Flügen und Zügen bei der Mehrwertsteuer auf internationale Tickets. Und auf der Europäischen Ebene wären EU-Garantien zur Reduzierung der Zinslast bei Neubeschaffungen sowie die Definition eines technischen Standards, mit dem lokomotiv-gezogene Nachtzüge wieder überall fahren dürfen, wo Standardgleise liegen, tatsächlich eine große Hilfe.
Weitere Links:
Inzwischen hat sich auch die Wirtschaftwoche das Konzept von Nox genauer angegeschaut:
„Neuer Nachtzuganbieter stößt schon zum Start an seine Grenzen„
Während bei Nox bislang nur Renderings existieren, gibt es bei Luna Rail längst funktionsfähige Musterkabinen. Die Berliner Zeitung lag schon drin und titelt: „Luna Rail: Wie ein Berliner Start-up den Nachtzugverkehr revolutioniert„






