
Diese vom deutschen Verkehrsministerium bei der Beratungsfirma Rambøll in Auftrag gegebene Studie ist ein hilfreicher Beitrag zur Verbesserung des Nachtzugangebots, der die wichtigsten Probleme aufzeigt. Sie fordert eine schnellere Standardisierung (TSI), eine gerechtere Finanzierung und die Integration von Nachtzügen in den regulären Fahrplan. Unserer Analyse zufolge weist sie jedoch einige Schwächen auf, vor allem unterschätzt sie die Bedeutung von Trassenpreise und die möglichen Entfernungen, verwendet veraltete Klimadaten und schätzt die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Flugverkehr falsch ein. Einige dieser Punkte konnten wir bei der Präsentation der Studie vor den Interessengruppen erläutern, für weitere Details veröffentlichen wir unsere vollständige Stellungnahme nachstehend.
Trotz dieser Probleme schätzen wir die Erkenntnisse der Studie, insbesondere in Bezug auf Infrastruktur, Finanzierungsmöglichkeiten und Automatisierung.
Unsere Stellungnahme:
Die Studie enthält viele wertvolle Hinweise an das BMDV, die wir als Back-on-Track Germany und als Teil eines europäischen Netzwerks von Nachtzuginitiativen gerne unterstreichen würden:
- Den Ersatz des RIC Standards durch TSI zu beschleunigen hierfür die benötigten Mittel und Kompetenzen bei der ERA (oder anderswo) sicher zu stellen,
- auch durch Beweislastumkehr hinsichtlich der Notwendigkeit nationaler Sonderstandards.
- Dies sind auch die Voraussetzungen dafür, im nächsten Schritt die vorgeschlagene Beschaffung von Wagenmaterial zu unterstützen, insbesondere durch Verringerung der Zinslast, etwa durch Bürgschaften ggf. kombiniert mit einer RoSCo in Staatseigentum als Auffanggesellschaft.
- Wir bekräftigen die Forderung nach Aufhebung des Tunnelbegegnungsverbots und
- nach der Schaffung von HG Trassen für Nachtzüge auf in Abstimmung mit dem SGV
- sowie die Einplanung von Nachtzügen in den Taktverkehr.
Einige Schlussfolgerungen der Studie können wir dagegen nicht nachvollziehen:
- Die Einschätzung, dass die Trassenpreise eine geringe Aktivierungseffekt haben ist unserer Ansicht der ausgewählten Muster-Strecke geschuldet, was das Bild verzerrt. Fährt man hierbei nicht 900 km in die günstige Schweiz sondern 1500 km von Berlin nach Rom kommt man bei gleicher Berechnung zu Werten in der Größenordnung von 14% wie in der Studie von Nelldal (2021) oder unserer Gemeinsamen Studie mit Transport & Environment. Setzt man dann noch einen Express-Zuschlag in Deutschland ein und rechnet bei den Kosten mit dem um 1/3 günstigeren italienischen Wagenmaterials sind Trassen- und Stationsgebühren dann auch schon die größte Kostenkomponente. Zwar weist die Studie (wie wir bereits bei Vorstellung unserer Studie 2022) auf das Marktpotenzial längerer Strecken hin, versäumt so aber Trassengebühren als deren Haupthindernis zu erkennen, auch weil hier eine Betrachtung für Deutschland nicht reicht. Es geht nicht um einzelne Sätze, sondern um eine prinzipielle Entscheidung, die Aufnahme von Nachtzugverkehren als zwingend in Trassenpreissystemen auszuweisendem Marktsegment, was wir der EU-Kommission und auch dem BMDV unbedingt nahelegen würden. Dies würde automatisch zu einer europaweiten Absenkung auf Grenzkosten führen. DB InfraGo würde diese Maßnahme im Übrigen nach unserer Berechnung (aus 2024) 9 Mio. € p.a. kosten – bei aktuellem Nachttarif wären es 12. Mio. – alles sofern kein einziger Nachtzug hinzukäme.
- Unklar ist uns, warum die Ungleichbehandlung bei der Mehrwertsteuer zu beseitigen ordnungspolitisch nicht angezeigt sei. Hier überzeugt der Verweis auf die EU nicht, denn die Gleichbehandlung von Flug und Zug ist europaweit eher die Norm denn die Ausnahme.
- Die Nightjets der neuen Generation oder die Intercity Notte Waggons würden wir eher nicht als Ausgangspunkte empfehlen, da diese Entwicklungen hinsichtlich der Raumnutzung in die falsche Richtung weisen. Hier gibt es inzwischen innovativere Konzepte, die mehr Komfort bei geringerem Platzbedarf oder eine Tag/Nacht Nutzung bieten oder beides.
Die Studie scheint weiterhin einige Schwächen bei der Potenzialberechnung zu haben (ohne dass dies allerdings den positiven Tenor der Studie in Frage stellen würde, im Gegenteil). Sie setzt aus unserer Sicht
- die Distanzen für potenzielle Nachtzüge zu niedrig und
- die Kosten für das Wagenmaterial zu hoch an,
- sie unterschätzt zudem den Preiswettbewerb mit demFlugzeug und
- die Klimawirkung.
Zum Zweck einer Konsolidierung der Aussagen möchten wir diese Punkte näher ausführen.
Bei den Distanzen nimmt die Studie unverständlicherweise eine Durchschnittsgeschwindigkeit 71 km/h statt der in DE üblichen 90 km/h an. Dadurch bleibt das unterstellte Distanzpotenzial mit 1000 (1500 km auf HG Strecken) unter dem was derzeit bereits gefahren wird (z.B. Stockholm-Narvik, Prag-Split). Hinzu kommt die Limitierung auf eine maximale Fahrzeit von 14 Stunden, obgleich im Text ein Zeitrahmen von ggf. auch 16 Stunden beschreiben wird. Maximale Fahrtzeittoleranz zum Distanzlimit zu machen ist aus unserer Sicht nicht erforderlich, da in den vorgestellten Streckenkonzepten oft nur ein kleiner Teil der Passagiere von Endpunkt zu Endpunkt reist. Tatsächlich imitiert sind die Fahrzeiten vielmehr durch den Zeitbedarf für Puffer- und Reinigung auf etwa 18h, weswegen der Nachtzug Prag-Split wieder eingestellt wurde. Mit einem breiteren, auf Distanzen von bis zu 2.700 km gezogenen Rahmen könnte man mehr als 79 Strecken identifizieren und ggf. bei Trassenpreisen andere Schlussfolgerungen erzielen.
Bei den Kosten des Wagenmaterials ist die Kalkulation bereits mit den gegebenen Kosten- und Zinsansätzen nicht nachvollziehbar. Bei 25,05 Mio. Anschaffungskosten und 6,5% Zinsen ergibt bereits bei Berücksichtigung von 15% Reserve bei linearer Abschreibung und jährlicher Zinsberechnung Annuitäten von etwa 2,23 und nicht 2,93 Mio. Euro. Der Anschaffungspreis von durchschnittlich knapp 3 Mio. € pro Waggon liegt auch eher am oberen Ende der bekannten Marktpreise für die beschriebenen Standardwaggons. Weiterhin ist angesetzte Zinssatz von 6,5 Prozent nicht näher begründet. (präsentierte Quelle: WACC) Das entspricht den Leasingkosten für Autos, sind die relevanter als Immobilienzinssätze, die derzeit zwischen 3 und 4% liegen? Hier würde uns interessieren, ob bei der Riskobewertung von Wagenmaterial mit europaweiter Zulassung ausgegangen wurde, von dem die Studie laut eigener Aussage ausgeht und ob hierbei die Zinssätze der EIB berücksichtigt wurden. Das ist relevant, da bei solchen Zinssätzen und 30-jähriger Finanzierung die Finanzierungskosten den mit Abstand größte Anteil an den Kosten des Wagenmaterials ausmachen und verdient daher mehr Aufmerksamkeit. Wenn, wie vorgerechnet 3,5% mehr Zinsen das Produkt um 15% verteuern, so gilt dies auch umgekehrt. Mit 54 Euro / Platz liegt die Studie vor allem wegen dieses Kontenansatzes am oberen Ende des Spektrums bisheriger Untersuchungen zu den Produktionskosten von Nachtzügen.
Verschiedentlich behauptet die Studie, Nachtzüge seien bereits wettbewerbsfähig mit dem Flugzeug. Dabei arbeitet die Studie einer einzigen externen Quelle aus dem Frühjahr 2023, und eigenen Erhebungen aus dem gleichen Jahr, die allerdings nur Direktflüge berücksichtigt. Ob zudem die bei Ryanair beliebten Nebenflughäfen (z.B. Charleroi für Wien-Brüssel) berücksichtigt wurden ist unklar. Die Preisspannen sind nicht repräsentativ, wie die angegebene Quelle für das Jahr 2024 belegt. Die durchschnittlichen Preise liegen inzwischen inflationsbereinigt wieder auf dem Vor-Corona Niveau.
Die Klimawirkung wird im Wesentlichen aufgrund veralteter Daten unterschätzt: Radiative Forcing wird in der Studie mit einem Faktor von 2,1 für internationale Flüge angesetzt. Hier entschied sich Rambøll gegen die neueren Erkenntnisse von Lee et.al. und für den „konservativeren“ Faktor von 2,1, den das Umweltbundesamtes 2020 noch für internationale Flüge empfahl, obwohl dieser bereits 2023 entsprechend der neueren Erkenntnisse auf 4,3 korrigierrt wurde. Mit einem EWF-Ansatz auf dem aktuellen Stand würde Rambøll auf der Grundlage des Treibstoffverbrauchs im Jahr 2019 zu Flugemissionen von 388 gCO2/pkm statt 197,51 CO2e/pkm kommen.
Weitere Details:
- Komfort scheint mit Platzbedarf linear bewertet worden zu sein. Das wäre nicht zielführend, da sich Komfort auch ohne Reduktion der Platzdichte steigern lässt, dies auch geboten ist, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern.
- Die Verkehrsmittelspezifischen Emissionen wurden anhand eines geschätzten zusätzlichen Leergewichts von 11 t hochgerechnet. Ein Couchette-Waggon weist allerdings nur 1 t zusätzliches Leergewicht aus (https://www.deutsche-reisezugwagen.de/wagendaten/248-bvcmz/) und angesichts der geringeren Passagierzahlen in Nachtzügen wäre ohnehin das Gesamtgewicht zu berücksichtigen. Wir würden davon ausgehen, dass sich die Effekte zumindest bei der skizzierten Konfiguration ausgleichen, die Werte also auf 588 t CO2e in der unteren bzw. 3744 t CO2e in der oberen Abschätzung zu korrigieren wären.
Neben diesen Kritikpunkten ist hervorzuheben, dass die Studie einige aktuelle Vorschläge und Debatten bewertet, wie nachhaltig Nachtzüge sind und wie sie wirtschaftlicher werden können, unter anderem:
- Eine Quantifizierung des Unterschieds von Energie- und Infrastrukturkosten beim Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen und von Nachtzügen auf Hochgeschwindigkeitsstrecken,
- Wir begrüßen dabei den Vorschlag, sich europaweit auf zwei Lichtraumstandards zu einigen,
- Eine Falsifizierung der mit der Studie „Ganzheitliche Ökologische Bilanzierung von Verkehrssystemen“ gestreuten Zweifel an der Nachhaltigkeit des Systems Bahn,
- Eine umfassende Übersicht über die Transportkapazitäten pro Betreiber zum Stand 08/2023,
- Eine Bewertung zukünftiger Entwicklungen in der Energie- und Kraftstoffproduktion,
- Eine (negative) Bewertung die Wirtschaftlichkeit kompletter Bordrestaurant-Wagen, leider ohne alternativ die noch eher diskutierte (https://derinternaut.ch/bahnreisen/benedikt-weibel-nachtzug/) Bordbistrovariante zu bewerten,
- Faktoren zu den Mehrkosten von X und Y Routenführungen,
- Faktoren für Ersparnisse bei den Personalkosten durch Automatisierungen,
- Eine Überprüfung von Strecken, die innerhalb der nächsten 10 Jahre eröffnet werden, sowohl auf eine mögliche Substitution von Nachtzügen durch schnellere Tagesverbindungen als auch auf das Potenzial erweiterter Nachtzugverbindungen,
- Eine Bewertung von Yield Pricing als Maßnahme zur Kapazitätsoptimierung,
- Die Studie bewertet die aktuelle PSO Praxis und schlägt vor, einmalige Anlaufsubventionen, die Finanzierung oder Bereitstellung von Waggons (einschließlich Wartung), TAC-Senkungen und – als neue Maßnahmen – Energiekostenzuschüsse und die Übernahme des Risikos von Infrastrukturdefiziten als Alternativen zu PSO zu prüfen.
Insgesamt begrüßen wir die Studie als wertvollen Beitrag für eine zeitgemäße Bewertung des Potenzials von Nachtzugverkehren. Es wäre zu begrüßen, wenn das Ministerium als Auftraggeberin die Veröffentlichung der dieser Studie zugrundeliegenden Daten autorisiert, ggf. unter Entfernung proprietärer Quellen.
Dies würde den Nutzen der Studie für aktuelle und potenzielle Nachtzugbetreiber erhöhen und die weitere Forschung zu dem Thema erleichtern.